Montag, 23. September 2013

Pastellblaue Grüße

Deutschland hat gewählt. Die Sieger klopfen sich auf die Schultern und die Verlierer lecken ihre Wunden. Das alleine ist schon erwähnenswert, lehrte uns doch die Vergangenheit, dass es nach Bundestagswahlen prinzipiell nur Sieger gibt. Dass dies in diesem Jahr nicht zutrifft, liegt an den veränderten Zielsetzungen der Parteien. Manche wollen regieren, andere würden schon ganz gerne und wieder andere haben endgültig die Schnauze voll. Sie sind des Regierens überdrüssig und ziehen von dannen. Nach uns die Sintflut, könnten sie rufen, doch am ersten Tag nach der Wahl kämpfen sie noch mit den Fluten, die sie dem Zauberlehrling gleich selbst gerufen haben und nun nicht mehr loswerden.

Überrascht haben mich die überraschten Gesichter jener Politnasen, die sich „liberal“ ans Revers heften, während sie sich gleichzeitig am Gängelband der Wirtschaft durch die Manege führen lassen. Fünfzig Jahre lang haben sie die Politik in Deutschland geprägt, waren Königsmörder und Königsmacher zu einer Zeit, als die Partei noch Ohren besaß, mit denen sie den Stimmungen im Lande lauschen konnte. Als der dienstälteste Außenminister der Republik samt seinen Ohren in den Ruhestand ging und Möllemann durch eine sprunghafte Entscheidung auf seine Pension verzichtete, fasste die FDP den Vorsatz, sich selbst aufzulösen. Ein ganzes Jahrzehnt schrumpfte sie gletschergleich langsam, aber stetig, nicht prozentual, sondern substanziell.

Das „Guidomobil“, in dem Kanzlerkandidat Westerwelle durch die Republik spaßte, entpuppte sich zehn Jahre später als Zug, der nach Nirgendwo fuhr. Innerparteiliche Macht- und Grabenkämpfe ersetzten aktive und attraktive Politik. Nach der Demontage Westerwelles versuchten die Liberalen, ihre Boyband um Christian Lindner in den Charts zu platzieren, ohne freilich einen Hit in petto zu haben. Mit ihrem Frontmann Philipp Rösler, der über die politische Durchschlagskraft eines Plüschteddys verfügt, entmaterialisierte sich die Partei. Man zog sich aus dem Wahlkampf zurück, besetzte keine Themen, traf keine Aussagen, verzichtete auf Inhalte und hinterließ nur noch sanfte, pastellblaue Grüße, verkauderwelscht dargeboten von einem weinselig grinsenden Bruder Rainerle.

Geschichte wiederholt sich nicht und so stelle ich mir vor, wie Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof auf einer Wolke sitzen, einen Joint rauchen und verwundert die Köpfe darüber schütteln, dass ausgerechnet die FDP zur führenden Kraft der außerparlamentarischen Opposition geworden ist, zumindest theoretisch, denn es mangelt den Liberalen an allem, was mit Kraft und Führung zu tun hat. Ob die APO, die bis gestern FDP hieß, noch einmal eine Rolle in der deutschen Politik spielen wird, darf getrost bezweifelt werden. Dutschke und Meinhof sind schon lange tot.



Montag, 9. September 2013

Berichtigen Sie Fehler

Der Sommer geht langsam zu Ende und der KUGELKOPF kehrt zurück. Die letzten Wochen hätten ruhig und entspannt verlaufen können, wäre da nicht diese Kleinigkeit zu erledigen gewesen. Als Selbstverleger (Neudeutsch: Selfpublisher) hat mich Amazon aufgefordert, meine Steuerdaten bis zum 25.10.2013 zu aktualisieren, da sonst keine weiteren Tantiemen gezahlt werden würden. Nichts leichter als das, dachte ich mir, denn als Unternehmer führe ich seit vielen Jahren meine Bücher selbst, erarbeite meine Steuererklärungen ohne fremde Hilfe und kenne mich deshalb in dem Metier ein wenig aus. Weit gefehlt! Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, welche Schwierigkeiten dabei auftreten können und wie viel Nerven mich das kosten würde.

Nichts Böses ahnend klickte ich das elektronische Formular auf der entsprechenden Amazon-Seite an. Die ersten Fragen, ob ich US-Bürger und/oder in den USA steuerpflichtig sei, waren schnell und einfach beantwortet. Da ich beides verneinte, wurde ich auf Seite 4 aufgefordert, meine persönlichen Daten einzugeben. „Wenn Sie eine Einzelperson sind, geben Sie Ihren vollständigen Namen ein.“ stand da zu lesen und darunter „Initialen des ersten und zweiten Vornamens“. Ja, was denn nun? Ich entschied mich für das einfache „RALF“ beim Vornamen und trug die vier Buchstaben in das entsprechende Feld ein, danach „KURZ“ beim Feld für den Nachnamen. Meine Adresse (Straße und Hausnummer, Postleitzahl und Ort, Bundesland und Staat) waren bereits voreingetragen, da Amazon diese Daten von mir bereits besitzt. Nachdem ich diese Adresse als gültig erklärt hatte, klickte ich auf „Fortfahren“.

„Bitte berichtigen Sie Fehler, um fortfahren zu können“ Die Meldung kam überraschend und so überprüfte ich meine Eintragungen „RALF“ und „KURZ“. Beides war richtig geschrieben, doch dann fiel mein Blick auf „Initialen des ersten und zweiten Vornamens“. Aha, dachte ich, löschte meinen Vornamen und gab lediglich ein „R“ ein, da mein zweiter Vorname bei Amazon nicht bekannt ist. Ein Klick auf „Fortfahren“ und …

„Bitte berichtigen Sie Fehler, um fortfahren zu können“ Das war es also nicht. Ich gab zwei Initialen ein, klickte auf „Fortfahren“ und erhielt die Meldung: „Bitte berichtigen Sie Fehler, um fortfahren zu können“ Ein wenig genervt setzte ich jeweils einen Punkt nach dem entsprechenden Buchstaben, klickte abermals auf „Fortfahren“ und …  „Bitte berichtigen Sie Fehler, um fortfahren zu können“ Dann also keine Punkte! Ich versuchte es mit Leerzeichen - „Bitte berichtigen Sie Fehler, um fortfahren zu können“ – mit Kommas - „Bitte berichtigen Sie Fehler, um fortfahren zu können“ – mit Kleinbuchstaben - „Bitte berichtigen Sie Fehler, um fortfahren zu können“ – schrieb beide Vornamen aus - „Bitte berichtigen Sie Fehler, um fortfahren zu können“ – kehrte zur vorherigen Seite zurück und versuchte es erneut. Jede meiner Eingaben wurde mit „Bitte berichtigen Sie Fehler, um fortfahren zu können“ quittiert.

Ich fuhr nicht fort, sondern langsam aus der Haut. Vor Ärger vor mich hin grummelnd überprüfte ich alle Angaben. Ab und zu war die Meldung aufgetaucht: „Es dürfen nur Buchstaben, Ziffern und die Sonderzeichen & - , ' / # . % verwendet werden.“ Ich hatte jedoch kein einziges Zeichen verwendet, das diesen Anforderungen widersprochen hätte. Nach einer Stunde schließlich gab ich auf. Ich hatte es nicht geschafft, meinen Namen auf eine Art einzugeben, die das Programm bewogen hätte fortzufahren. Um Hilfe bittend wandte ich mich in einer eMail an Amazon und schilderte mein Problem, das genau betrachtet eigentlich ein Problem von Amazon war. Einen Tag später erhielt ich eine eMail mit folgender Antwort: „Leider kann ich Ihrer E-Mail nicht entnehmen, welche Fehlermeldung Sie konkret erhalten.“

Nur mit Mühe gelang es mir, nicht in die Kante meines Schreibtischs zu beißen. Ich klickte auf „Antworten“ und schrieb eine neue eMail, in der ich ganz ausführlich über mein Problem berichtete. Als ich sie absenden wollte, klärte mich web.de darüber auf, dass die eMail-Adresse ungültig sei und die Antwort nicht verschickt werden könne. Aarrgghhh!!!

Es dauerte einige Minuten, bis Puls und Blutdruck wieder ihr normales Niveau erreicht hatten, doch dann lächelte ich grimmig. So leicht wollte ich mich nicht geschlagen geben! Angriffslustig rief ich die Amazon-Seite wieder auf und versuchte mich erneut an der Eingabe meines Namens für die Steuerdaten. Das Ergebnis war niederschmetternd, denn die Prozedur wiederholte sich auf die gleiche Weise wie zwei Tage zuvor. Ich schaffte es wieder nicht, meinen Namen auf eine Weise einzugeben, die das Programm akzeptieren wollte. Es verging eine weitere Stunde, bis ich schließlich die weiße Fahne hisste.

Die eMail von Amazon endete folgendermaßen: „Habe ich Ihre Frage zufriedenstellend beantwortet?“ Für beide Varianten JA oder NEIN gab es jeweils eine Internetseite, die im betreffenden Fall anzuklicken wäre. Im Bewusstsein meines Scheiterns klickte ich also die entsprechende Seite an und schilderte mein Problem erneut. Der Tag ging, doch es kamen weder Johnny Walker noch eine Antwort, auch nicht am zweiten Tag, nicht am dritten und nicht am vierten …

Keine Steuerdaten bedeuteten auch keine zukünftigen Tantiemen mehr. Amazon antwortete nicht und ich hatte das Problem noch immer nicht gelöst. Mit wenig Zuversicht setzte ich mich an meinen alten Rechner, der ebenfalls über eine Internetverbindung verfügt, doch ihm gelang es nicht einmal, die gewünschte Seite aufzubauen, während mein Notebook daneben stand und mich hämisch anzugrinsen schien. Aufgeben ist keine Option, dachte ich und ließ bedrohlich die Gelenke meiner Finger knacken. Meine Mordlust in den Hintergrund drängend startete ich den dritten Angriff. Das Durchklicken ging sehr schnell, denn ich kannte die entsprechenden Fragen und Antworten bereits. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ich die Seite „Persönliche Angaben“ erreichte – und vermutlich ahnen Sie bereits, was dann der Eingabe meines Namens folgte: „Bitte berichtigen Sie Fehler, um fortfahren zu können“. Kein Vorname und keine Initialen waren gut genug, um fortfahren zu können. Das Blut rauschte in meinen Ohren und meine Kiefer hatten zu mahlen begonnen. Mit dem letzten Rest Gelassenheit, den ich noch aufbringen konnte, überprüfte ich jede einzelne Angabe, auch die, die vom Programm bereits vorgegeben waren. Nichts, keine Fehler, alles korrekt! Ich wandte mich ab und dachte nach … dachte nach … dachte nach … und vor meinem inneren Auge erschien plötzlich wieder die Erklärung: „Es dürfen nur Buchstaben, Ziffern und die Sonderzeichen & - , ' / # . % verwendet werden.“


Plötzlich traf mich die Erkenntnis mit der Wucht von Thors Hammer. In einem vom Programm selbsttätig ausgefüllten Feld stand der Name des Bundeslandes, in dem ich wohne: BADEN-WÜRTTEMBERG. Mit einer Sicherheit, die den Tiefen des Instinkts entsprang und die keinen Raum für Zweifel ließ, wusste ich plötzlich, dass ich die Lösung gefunden hatte. Amazon ist ein amerikanisches Unternehmen und dort hat man kein Verständnis für das „Ländle“! Mit zitternden Fingern setzte ich mich wieder an meinen Schreibtisch und ersetzte das „Ü“ durch „UE“: BADEN-WUERTTEMBERG. Es kam, wie es kommen musste. Ich klickte auf „Fortfahren“ und die nächste Seite öffnete sich in Sekundenschnelle. Zu Tränen gerührt verabschiedete ich mich von der antiquierten Vorstellung, das „Ü“ könnte ein ganz normaler Buchstabe sein.

Dienstag, 13. August 2013

Wer will schon nach Mainz?

Ja, das waren noch Zeiten, als die schwäb´sche Eise´bahn von Stuttgart über Ulm und Biberach brave Bäuerle beförderte und man am Schalter ein Billetle kaufen konnte. Wenn man den stets pünktlichen Zug gerade noch auf den letzten Drücker erwischte, erstand man seinen Fahrschein beim Schaffner, suchte sich einen Sitzplatz und dachte nicht darüber nach, ob man den Anschlusszug noch bekommen würde. Früher war halt alles besser, da sind wir uns doch einig, oder?

„Schmarrn!“, wird uns Peter Ramsauer, Bundesminister für die kostengünstige Verschickung humaner Reisegüter, entgegenschleudern. Seit vielen Jahren wird die Bahn verbessert. Man entwickelt neue Konzepte, trennt den Zug wirtschaftlich von der Schiene und schließt kostenintensive Service-Points, um zu verhindern, dass Kunden, die früher Reisende hießen, falsch beraten werden. Da also die Bahn über Jahrzehnte ständig verbessert wurde, kann früher überhaupt nichts besser gewesen sein. Logisch? Nein, falsche Frage. Die richtige Frage lautet: Basta!

Kein anderer Kostenfaktor bietet so viel Einsparpotenzial wie der Mitarbeiter. Aus einem Schaltschrank kann man keine Sicherung entfernen, ohne dass das System zusammenbricht, aber eine Belegschaft kann man locker um die Hälfte verringern. Wozu braucht man Schalter, wenn es Automaten gibt? Begeisterte Kunden nutzen ihre neu erworbene Freiheit beim Surfen im Internet und finden so immer neue Wege, die nach Rom führen, selbst wenn sie eigentlich nach Braunschweig wollen. Sie drucken ihre Fahrscheine zuhause aus und genießen die rasante Fahrt meist stehend und in geselliger Runde. Natürlich kann man auch eine Sitzplatz-Reservierung buchen und hat damit einen Sitzplatz in Reserve, falls der Zug wider Erwarten doch nicht überfüllt sein sollte. Immer schnellere Züge bieten immer mehr Verspätungspotenzial und das Umsteige-Bingo ist nach der Ziehung der Lottozahlen das bekannteste Glücksspiel in Deutschland. Die Bahn kommt. Jede Frage nach dem „wann“ zeugt von Kleingeistigkeit und würde die lange Tradition von Freiheit und Abenteuer zunichte machen, die wir uns seit dem Orientexpress und der Transsibirischen mühsam bewahrt haben.

Die enormen Effizienzsteigerungen, die wir seit Jahren beobachten, haben natürlich auch dazu geführt, dass Bahnfahren immer billiger wurde. Die Fahrten kosten zwar immer mehr Geld, doch aus dem luxuriösen Beförderungsmittel von einst ist heute ein billiger Viehtransporter geworden, in dem sich schwitzende Leiber gegeneinander drängen, eingepfercht in rasende Sardinenbüchsen, von denen wir hoffen, dass sie dort ankommen, wohin wir eigentlich wollen – zum Beispiel nach Mainz – während wir jeden Gedanken an Wartungsintervalle aus unserem Bewusstsein verdrängen. Wir ertragen all dies klaglos, denn in unserem tiefsten Inneren erfüllt uns der Gedanke, dass die Bahn das ökologischste aller Transportmittel ist, mit tiefer Befriedigung. Zurück zur Natur kann nur mit der Bahn gelingen, in deren Zügen wir im Sommer schwitzen und im Winter frieren – ganz so, wie es sein soll.

Im Ringelreihen der Wahlkampfthemen hat die Bahn jetzt ebenfalls einen Platz gefunden. Es wird diskutiert, vor- und zurückgeschlagen und jeder hat etwas beizusteuern. Regierung, Opposition und Experten streiten um die richtige Richtung, um Geld und Wählerstimmen, doch am Schluss wird es so sein wie immer und das Ende ist absehbar. Wer nur eingleisig denkt, darf sich nicht wurden, wenn sein Zug nach Nirgendwo fährt.

Montag, 5. August 2013

Mein Recht auf Gemüsesuppe

Grün ist die Hoffnung, sagt ein altes Sprichwort, doch nach meiner Meinung ist es hoffnungslos daneben, was Frau Künast in einem Interview kürzlich zum Besten gab. Sie plädiert für die Einführung eines „Veggie-Day“. Einmal abgesehen davon, dass „Gemüsetag“ auch ein schönes Wort ist, aber leider längst nicht so „hip“ (modern) klingt wie „Veggie-Day“, ist die Idee, die dahintersteckt, im Grunde wirklich nicht schlecht. In Deutschland ist der Konsum von Fleisch und Fleischprodukten ziemlich hoch und es würde nicht schaden, ihn ein wenig nach unten zu fahren. 

Gut gemeint ist wieder einmal das Gegenteil von gut gemacht. Der „Veggie-Day“ passt deshalb unglaublich gut in die politische „Sour-Gherkin-Time“ (Saure-Gurken-Zeit) zwischen Sommeranfang und Bundestagswahl. Ausgerechnet die Partei jener Leute, die in ihrer Gründungsphase den liberalen Gedanken bis über die Schmerzgrenze hinaus strapaziert haben, ruft nach einem Verbot. In deutschen Kantinen soll nach dem Willen der Gurkentruppe per Gesetz vorgeschrieben werden, dass an einem Tag pro Woche weder Fleisch noch Wurst, des Deutschen liebstes Gemüse, verkauft werden darf. Die Menüauswahl soll sich dann auf vegetarisch vs. vegan beschränken. Das sei gut für das Klima, so Künast weiter. Ich komme nicht umhin, ihr zuzustimmen, vor allem, wenn französische Zwiebelsuppe oder Bohnen mit Lauchgemüse serviert werden.

Wie sehr die Grünen im real existierenden Politikbetrieb angekommen sind, zeigt der Ruf nach einem Verbot. Es genügt nicht, dass in den meisten deutschen Kantinen bereits vegetarische Gerichte angeboten werde – und zwar täglich! – hier muss Big Sister Renate herrschend eingreifen. Ich ahne bereits, dass es dann auch einen „Make-Down-Day“ (einen Tag ohne Make Up)  geben wird, weil Kosmetika mit Hilfe von Tierversuchen entwickelt werden. Ein „Feierabendsprudel-Tag“ ohne Bier, ein „Hot-Water-Day“ (Kaffee ohne Kaffee, ohne Milch und ohne Zucker) und ein „Bio-Kondom-Tag“ (Jute statt Plastik) werden folgen. Man könnte den Bürgern jeden Tag etwas verbieten und sie so von der lästigen Mühe eigener Entscheidungen befreien. Jedes Verbot ließe sich sicherlich auch ökologisch begründen und nachhaltig verfolgen. Nur den „Keinen-Senf-Tag“, einen Tag ohne debiles Politikergeschwätz, wird es vermutlich niemals geben.


„Grüne wollen uns das Fleisch verbieten!“ titelt bereits die BILD-Zeitung, jener unerschrockene Kämpfer für die deutsche Grillgemütlichkeit. Ich stimme selten mit dem amtlichen Stammtisch-Sprachrohr überein und auch wenn mein wöchentlicher Fleischkonsum eher gering ist, so will ich mir dennoch nicht in meinen täglichen Speiseplan hineinreden lassen.  Wenn ich morgen Lust auf eine Gemüsesuppe habe, will ich nicht bis zum „Veggie-Day“ warten müssen.

Mittwoch, 31. Juli 2013

Rückgaberecht

Hei, wie lustig das Fett spritzt, wenn jemand ins Näpfchen springt, nicht wahr, Jan Ullrich? Man solle Lance Armstrong die sieben wegen Dopings aberkannten Toursiege zurückgeben, weil niemandem damit geholfen sei, wenn in den Siegerlisten nur Striche stünden, verlautbarte der einstige Vorzeigestrampler der Telekom-Mannschaft in der Sport-Bild. Die Zeit sei damals eben so gewesen, so Ullrich weiter.

Der einzige deutsche und noch nicht aus der Siegerliste gestricheneTour-de-France-Gewinner (1997), der 1997 und 2003 zum „Sportler des Jahres“ gewählt wurde, ist ein überführter Doping-Sünder. Die religiöse Komponente dieses Vergehens leuchtet mit nicht ganz ein, denn in meinen Augen ist Ullrich ein Doping-Betrüger. Er hat nicht wider den Herrn gehandelt, sondern wider die Bestimmung, die besagt, dass leistungssteigernde Mittel im sportlichen Wettkampf verboten sind. Wer sie dennoch einsetzt, ist ein Betrüger. Selbst Ullrich sollte das mittlerweile erkannt haben.

Man mag es Borniertheit nennen, Arroganz, Unverbesserlichkeit oder schlicht Dummheit. Vielleicht hinkt Ullrichs Intelligenz hinter der Anzahl seiner Pedalumdrehungen pro Minute zurück, vielleicht aber liegt dem Ganzen auch ein raffinierter Plan zugrunde. Möglicherweise wurde Ullrich von zwielichtigen Männern und Frauen angestachelt. Er ist vielleicht nur die dumpfbackige Speerspitze einer Bewegung, die für ein uneingeschränktes Rückgaberecht kämpft. Sollte sich Ullrich mit seiner Idee durchsetzen, dann werden viele andere jubeln. Guttenberg, Koch-Mehrin und Schavan erhalten ihre Doktortitel zurück, der Fälscher Konrad Kujau bekommt seine Hitler-Tagebücher wieder und Frankreich das Saarland. Möglicherweise stecken auch die Anwälte von Uli Hoeneß dahinter und der Vorsitzende des Aufsichtsrats der FC Bayern München AG wird seine hinterzogenen Steuermillionen behalten.

Ich weiß, ich weiß, für eine Verschwörungstheorie ist das ziemlich dämlich, aber was soll man machen? Es muss einen Grund geben, warum Ullrich diese Aussage einem Journalisten in den Block diktiert hat. Wenn man hier Ursachenforschung betreibt, dann stößt man jedoch auf einen bemerkenswerten Sachverhalt. Im Jahre 2008 hat Ullrich einen Prozess gegen Günther Dahms, den früheren Chef des Coast-Rennstalls, gewonnen, weil Dahms die Zahlungen aus einem Drei-Jahres-Vertrag zwischen Ullrich und Coast mit der Begründung eingestellt hatte, Ullrich habe im ersten Quartal 2003 gedopt. Ullrich hat diese Vorwürfe damals vor Gericht unter Eid bestritten und so den Prozess gewonnen, der ihm 340.000 Euro plus Zinsen eingebracht hat. Knut Marel, der damalige Anwalt von Dahms, will Ullrich jetzt wegen Falschaussage anzeigen und dem einstigen Pedaleur droht bei einer Verurteilung eine Gefängnisstrafe von nicht weniger als einem Jahr. In diesem Licht betrachtet, handelt Ullrich äußerst klug. Er kann nicht verurteilt werden, wenn seine Unzurechnungsfähigkeit festgestellt wird. Mit seinen geistigen Arschbomben in die Fettnäpfchen tut er zumindest alles dafür.


Sonntag, 28. Juli 2013

Tagebucheintrag eines Unsterblichen

aus dem Tagebuch des Giacomo Casanova
28. Juli 2013

Über zweihundert Jahre ist es nun her, seit ich meinen letzten Atemzug ausgehaucht habe. Zwei Jahrhunderte, in denen das Können längst vergangen, das Wollen mir aber stets erhalten geblieben ist. Welche Plage, welche Marter war es in den ersten Jahren, all die begehrenswerten Frauen zu sehen und gleichzeitig nicht einmal eine Locke ihres Haares berühren zu können. Geisterhaft und körperlos blieb mir lediglich die Betrachtung und doch habe ich im Lauf der Zeit ein Vergnügen daran gefunden, das zu Lebzeiten ich mir nicht im Entferntesten vorzustellen vermocht hätte.

Wenn es jemals etwas gab, das mich interessiert und meine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, dann war es das Wesen der Frau. Mit meinem Tode dem alternden Körper entflohen hatte ich Muße, mich völlig und ausschließlich dem Studium des anbetungswürdigsten aller Geschöpfe hinzugeben. Wie oft habe ich sie betrachtet, während das Rad der Zeit sich unaufhaltsam weitergedreht hat, mit wechselnden Moden und sich ändernden Schönheitsidealen! Das Wesen der Frau mag dabei stets gleich geblieben sein, ihr erwachendes und später beständig wachsendes Selbstbewusstsein jedoch hat viele auf eine Art erblühen lassen, die zu meinen Lebzeiten noch undenkbar gewesen war. Ich will die vergangenen beiden Jahrhunderte hier nicht Revue passieren lassen, noch will ich bedeutende Ereignisse schildern. Man mag dies getrost in den Geschichtsbüchern nachlesen. Meine heutige Betrachtung währt nur einen kurzen Augenblick in der langen Geschichte weiblicher Offenbarung.

Seit den Zeiten des Homer und seiner Helden waren die Leibesertüchtigung und der sportliche Wettkampf eine Domäne ausschließlich zumeist junger Männer. Die Wiederbelebung des olympischen Geistes durch den französischen Pädagogen und Historiker Pierre de Coubertin Ende des 19. Jahrhunderts öffnete jedoch den Frauen ein Feld, auf dem sich zu tummeln zu mancher Augenweide geführt hat, die ich heute nimmer mehr missen möchte. In den letzten beiden Wochen habe ich unzählige Frauen dabei beobachtet, wie sie ihre Kunstfertigkeit, einen Ball mit Füßen zu treten, im sportlichen Wettkampf unter Beweis gestellt haben. Den Liebhabern dieser Beschäftigung sei dies auf das Wärmste empfohlen, denn jener große Graben, der Männer und Frauen jahrzehntelang getrennt hatte, existiert längst nicht mehr. Auch wenn heute an den Stammtischen dörflicher Wirtshäuser noch hie und da die gegenteilige Meinung vertreten wird, so rufe ich jenen Ignoranten zu, dass sie Narren seien und blind für das, was dem männlichen Auge eine solche Wohltat beschert.

Vielen würde ich Unrecht tun, ließe ich sie hier unerwähnt und doch muss ich mich beschränken, um den Leser mit einer unendlich erscheinenden Liste nicht gar zu sehr zu langweilen. So seien hier Exempel gegeben, die auch für jene anderen stehen, welche mein Auge ergötzt und mein Herz erfreut haben.  Welch holde Anmut erblüht auf dem Gesicht einer Louisa Nécib, welch kühle Schönheit zeigt uns Josefine Öqvist und wie begehrenswert erscheint mir die jugendliche Frische einer Anouk Hoogendijk? Viele der schönsten Frauen Europas verzaubern uns mit ihrem Spiel, ihrem Können und ihrem Willen zu triumphieren. Welcher Mann träumt nicht von der grenzenlosen Leidenschaft begehrenswerter Frauen und wie viel davon sahen wir beim Wettkampf zwischen Deutschland und Schweden? Mein Herz flog Lena Goeßling zu, die ob der Anstrengung heftig atmend mit glühenden Wangen und unbeugsamem Blick ihre Gegenspielerin beobachtete, während sich ihr Busen hob und senkte. So manches Mal schnalzte ich mit der Zunge, wenn Lena Lotzen, deren Beschreibung nur eine Ode gerecht werden könnte, ihre Gegenspielerinnen mit artistischer Raffinesse übertölpelte, einer Kunstfertigkeit, die selbst so manchen gestandenen Innenverteidiger der Bundesliga vor Neid erblassen ließe. Das herausragende Können einer Stina Lykke Petersen, auf die ein einziger Blick zu werfen mir genügte, um sie in mein Herz zu schließen, bescherte den Däninnen mit ihren Paraden und drei gehaltenen Elfmetern den Einzug ins Halbfinale. Noch seitenweise könnte von der gazellenhaften Schnelligkeit einer Élodie Thomis, der schier unendlichen Ausdauer einer Simone Laudehr oder der beeindruckenden Präsenz einer Célia Okoyino da Mbabi schreiben, ohne dabei Dzsenifer Marozsán, Roberta D’Adda oder Margrét Lára Viðarsdóttir und so viele andere zu vergessen.


Wie begehrenswert sind all jene, in deren jugendlichen Körpern die Leidenschaft brennt und welche Anziehung übt der Selbstbewusstsein versprühende Blick dieser Frauen auf mich aus! Welcher Mann, in dessen Lenden noch der Trieb sich regt, kann dieses Spektakel, dieses exquisite Schauspiel wetteifernder und in höchstem Maße appetitlicher Körper, sich entgehen lassen, wenn selbst in mir, der ich doch allen körperlichen Genüssen längst entsagen musste, das Verlangen ob dieses Anblicks noch immer lodert! Noch einmal rufe ich Euch zu, dass ihr Narren und unverbesserlich seid, wenn ihr heute Abend dem letzten Spiel nicht beiwohnen möget, wenn im finalen Wettstreit Schönheit gegen Schönheit steht und das Auge des Betrachters sich nicht abwenden kann, ohne die Gefahr heraufzubeschwören, einen erhabenen Augenblick zu verpassen, in der sich einer jener schönsten Funken der Schöpfung Gottes uns offenbart: eine leidenschaftliche Frau!

Freitag, 26. Juli 2013

Er hat noch Vertrag

Viel zu oft höre oder lese ich Sätze, bei denen ich mich frage, ob der Sprecher oder Schreiber einen Schulabschluss besitzt, der das Fach Deutsch einschließt. Ich meine hier nicht Otto Normalverbraucher oder ganz allgemein Menschen, für die Sprache lediglich ein Mittel zur Kommunikation ist. Ich schreibe hier von Leuten, denen die deutsche Sprache als Broterwerb dient und von denen man annehmen sollte, dass sie diese Sprache auch beherrschen, in der sie sich auszudrücken versuchen. Die Rede ist von Journalisten.

Wer nicht gerade als Quereinsteiger für die Medien arbeitet, hat meist Journalismus, vielleicht auch Germanistik studiert. Warum diese Hochgebildeten jedoch mit Nachdruck den Niedergang der deutschen Sprache vorantreiben, ist mir ein Rätsel. Vielleicht finden sie es cool, wenn ihr Geschwafel so klingt, als wäre Deutsch ihre erste Fremdsprache. Sie ahnen vermutlich nicht einmal, dass es nicht cool, sondern einfach nur dämlich ist.

 „Mario Götze, Sie haben noch Vertrag bis 2014“, hörte ich einen Journalisten beim Interview mit einem talentierten Fußballspieler sagen. Sie haben noch Vertrag? Wo ist der an dieser Stelle notwendige unbestimmte Artikel „einen“ geblieben? Alle Fußballer haben mittlerweile Vertrag. Man hört es ständig und fragte sich zwangsläufig, ob ein korrekt gebildeter Satz die geistigen Fähigkeiten eines interviewten Sportlers überfordern würde oder die des Journalisten. „Und Sie, Herr Journalist“, möchte ich erwidern, „haben Sie noch Arbeitgeber?“

„Die deutsche Mannschaft, sie ist auf dem Platz“, erklärt uns ein anderer.  Woher kommt dieses völlig überflüssige „sie“? Welchen Sinn hat diese merkwürdige Satzkonstruktion und was will der Journalist damit ausdrücken? Warum ist sie plötzlich so sehr in Mode gekommen, nicht nur im Sport, sondern generell („Der Wald, er erholt sich“ oder „Die Antarktis, sie wird kein Naturschutzgebiet“)?

Irgendjemand muss den Journalisten beigebracht haben, dass eine Frage durch das Wort „wie“ gekennzeichnet ist und seither stürmen die Pressevertreter mit ihren rhetorischen Scheuklappen durch den Mediendschungel, ohne nach rechts oder links zu sehen. Beim Interview mit dem CSU-Abgeordneten Manfred Weber fragte der Vertreter der Südwest-Presse: „Wie überrascht sind Sie von der Ausspäh-Affäre?“ Kann Herr Weber diese Frage überhaupt vernünftig beantworten? Welche Facetten bietet Überraschung, aus denen man auswählen kann? Noch  weniger verständlicher ist die Frage eines Vertreters von op-online: „Herr Müller, wie groß ist die Enttäuschung bei Ihnen, jetzt, fünf Tage nach der Wahl?“ Was soll Herr Müller erwidern, einen Metzer sechsundsiebzig vielleicht? In welcher Einheit misst man Enttäuschung?

Gestern stach mir eine Schlagzeile bei web.de ins Auge und ich bin froh, dass ich keine Verletzung davongetragen habe. In großen Lettern stand zu lesen: Kann Lena „Supertalent“? Ich konnte es kaum glauben und las die Zeile noch einmal: Kann Lena „Supertalent“? Wer Lena ist, interessiert mich nicht, doch ich möchte dem Verfasser dieser Schlagzeile entgegenrufen: „Hast du deutsch?“